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Faktor 5

Im Oktober 2020 haben ElringKlinger und Plastic Omnium ver­einbart, ge­meinsam den Brennstoffzellenmarkt zu erschließen. ­Laurent Favre, Vorstandsvorsitzender von Plastic Omnium, und ElringKlinger-Chef Dr. Stefan Wolf sind vom Erfolg der Wasserstoffmobilität über­zeugt. Gerade die Brennstoffzellenstacks des gemeinsamen Unternehmens EKPO Fuel Cell Technologies stellen aufgrund ihrer Leistungs­fähigkeit eine wettbewerbs­fähige Alternative zu batterieelek­trischen Antrieben oder dem Verbrennungsmotor dar. Durch ­höhere Stückzahlen soll sich der heutige Preis eines Systems noch vor dem Jahr 2030 um den Faktor 5 verringern.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen der von ihnen geschlossenen Partnerschaft und der Corona-Pandemie?

Favre — Die Corona-Krise beschleunigt die Transformation, die in der Automobilindustrie bereits vor Jahren begonnen hat. Das gilt insbesondere für die Entwicklung hin zu einer klimaneutralen Mobilität. Hinzu kommt, dass Regierungen überall auf der Welt massiv Geld in die Hand nehmen, um nach der Krise grünes Wachstum zu ermöglichen. Allein in Deutschland und Frankreich zusammengenommen wird der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft mit rund 16 Milliarden Euro gefördert.

Wolf — Das Signal, das die Europäische Union mit der Wasserstoffstrategie gesetzt hat, ist sicher hilfreich. Die Entscheidung zur Gründung des Gemeinschaftsunternehmens ist jedoch durch unsere unternehmerische Strategie geprägt. ElringKlinger arbeitet bereits seit 20 Jahren an der Brennstoffzelle. Wir wussten, dass wir einen sehr guten Stack haben, aber auch, dass wir für ein Gesamtsystem einen Partner benötigen würden. Umgekehrt ist Plastic Omnium führend bei den Wasserstoff-Drucktanks. Schon vor der Pandemie haben wir mit den Gesprächen begonnen und dann einfach weiterverhandelt, größtenteils über Videokonferenzen.

Im Brennstoffzellenmarkt tummeln sich derzeit relativ viele Anbieter. Was macht Ihr Gemeinschaftsunternehmen einzigartig?

Wolf — Eine Stärke besteht in unserer Flexibilität. Einerseits gibt es große Automobilhersteller, die die Systemverantwortung selbst übernehmen wollen und qualitativ hochwertige Komponenten oder Module zukaufen. Da sind wir in der gleichen Rolle wie beim Verbrennungsmotor. Andererseits benötigen kleinere Hersteller einen kompetenten Partner für das komplette Brennstoffzellensystem.

Favre — …und da sind sie dann bei uns richtig. Deshalb haben wir das in Österreich beheimatete Systemgeschäft von ElringKlinger und unser eigenes aus der Schweiz in einem Unternehmen zusammengeführt.

Wolf — Nicht zu vergessen, wenn wir über die Wettbewerbsposition reden: Der technologische Reifegrad unserer Komponenten ist sehr hoch. Wir haben anfänglich bereits eine Fertigungskapazität für bis zu 10.000 Stacks im Jahr.

Favre — Wenn ein Kunde heute eine Neuentwicklung bei uns beauftragt, können wir in drei Jahren in Serienqualität liefern. Und das überall auf der Welt!

„Mit Wasserstoffmobilität können wir uns in Europa von anderen Regionen unabhängiger machen, was die Energie- und die Rohstoffversorgung betrifft.“

Hildegard Müller, Präsidentin des VDA

Warum brauchen wir die mit Wasserstoff betriebene Brennstoffzelle überhaupt für die Mobilität der Zukunft? Es gibt doch batterieelektrische Antriebe.

Favre — Ein mit Wasserstoff betriebenes Brennstoffzellenfahrzeug ist ein Elektrofahrzeug! Das ist für uns kein Entweder-oder. Welche technische Option sich durchsetzt, hängt von vielen Faktoren ab – auch davon, welche Infrastruktur jeweils in einem Markt vorhanden ist. Wo es um Fahrzeuge mit großen Reichweiten geht, ist die Brennstoffzelle, als Hybridantrieb kombiniert mit einer kleinen Batterie, im Vorteil.

Wolf — Hinzu kommt: Wasserstoff, gewonnen aus Sonnen-, Wasser- und Windenergie, ist potenziell unendlich verfügbar. Bei Lithium-Ionen-Akkus sind hingegen endliche Rohstoffe im Spiel, deren Gewinnung zudem nicht immer umweltfreundlich ist. Das spricht nicht gegen Elektromobilität in urbanen Räumen. Wo aber sehr große Reichweiten absolviert werden müssen, ist die Brennstoffzelle unter Nachhaltigkeitsaspekten die bessere Wahl.

Favre — Es gibt noch einen geostrategischen Aspekt: Mit Wasserstoffmobilität können wir uns in Europa von anderen Regionen unabhängiger machen, was die Energie- und die Rohstoffversorgung betrifft.

Wolf — Das kann ich nur unterstützen. Stand heute haben wir in Europa bei Batteriezellen einen deutlichen Rückstand gegenüber den asiatischen Ländern. In der Brennstoffzellentechnik sind wir hingegen führend.

Es sieht aber bei der Brennstoffzelle auch so aus, als gingen hier die asiatischen Hersteller und teilweise auch die Regierungen voran.

Wolf — Wir haben mit EKPO bereits viele Entwicklungsprojekte in China und in anderen Ländern. Das zeigt schon, dass unsere Technologie weltweit als sehr gut wahrgenommen wird. Dass einige Länder wie Japan stark auf eine Wasserstoffwirtschaft setzen, ist für uns eher eine Chance. Denn die Autohersteller in diesen Ländern werden ebenfalls Komponenten zukaufen.

Favre — Wir gehen schon davon aus, dass wir anfangs mehr Geschäft in Asien machen werden, weil sich der Markt dort schneller entwickelt als hier und wir dort schon eine starke industrielle Präsenz und ein vorhandenes Kundenportfolio haben. Aber wir sind global tätig und haben auch erste Projekte in Nordamerika und natürlich in Europa.

„Die Brennstoffzellentechnik ermöglicht uns, Antriebe mit hoher eigener Wertschöpfung zu produzieren und dadurch qualifizierte Beschäftigung in Europa zu halten. So führen wir Ökonomie und Ökologie zusammen.“

Dr. Stefan Wolf,
CEO der ElringKlinger AG

Wann erreicht die Brennstoffzelle Kostenparität zum Dieselmotor?

Favre — Das ist eine Frage der Technologie, der Werkstoffe und nicht zuletzt der Stückzahlen. Wir haben uns das Ziel gesetzt, zwischen 2027 und 2029 Kostenparität zu erreichen. Dafür werden wir etwa um den Faktor 5 günstiger produzieren, als dies heute möglich ist.

Wolf — Das hängt auch davon ab, wie aufwendig die Abgasreinigung für den Dieselmotor wird. Durch die immer stärkere Regulierung des Verbrennungsmotors wird eine höhere Nachfrage nach neuen Technologien wie der Brennstoffzelle entstehen.

Konkret: Wie wollen Sie die Brennstoffzelle kostengünstiger machen?

Wolf — Kostenreduktion ist eine wesentliche Aufgabenstellung für unser Gemeinschaftsunternehmen. Ein Beispiel: Die erste Generation unserer Bipolarplatten war noch mit Platin bedampft, mittlerweile verwenden wir Gold. Und nun arbeiten wir bereits an einer Technologie, die ganz ohne Edelmetalle auskommt.

Favre — Ich bin fest davon überzeugt, dass die Brennstoffzelle im Jahr 2030 nicht nur für Lkw wettbewerbsfähig sein wird. Auch ein großes SUV mit Brennstoffzellenantrieb wird kostengünstiger sein als ein Plug-in-Hybridantrieb mit Verbrennungsmotor.

Wolf — Ein japanischer Pkw-Hersteller hat für das Jahr 2030 zwei Millionen Brennstoffzellenfahrzeuge angekündigt, ein koreanischer Hersteller eine Million. Und alle europäischen Pkw-Hersteller fahren zumindest Entwicklungsprogramme. Unser Optimismus kommt nicht von ungefähr.

Der Erfolg von Unternehmenspartnerschaften hängt oft nicht an der Technik, sondern an der Kultur. Was macht Sie sicher, dass ElringKlinger und Plastic Omnium auf Dauer zueinander passen?

Favre — Wir vertreten beide börsennotierte Familienunternehmen – da ist die Kultur schon sehr ähnlich. Wir sind bodenständig, das heißt, wir machen erst und sprechen dann darüber. Und wir stehen für starke Werte, übernehmen Verantwortung für unsere Mitarbeiter.

Wolf — Da unterschreibe ich jeden Satz. Uns beiden ist doch bewusst: So ernst wir den Klimaschutz nehmen, so wichtig ist es auch, den wirtschaftlichen Wohlstand zu erhalten. Die Brennstoffzellentechnik ermöglicht uns, Antriebe mit hoher eigener Wertschöpfung zu produzieren und dadurch qualifizierte Beschäftigung in Europa zu halten. So führen wir Ökonomie und Ökologie zusammen.

Durch das Gespräch führte Johannes Winterhagen.

Laurent Favre

Der französische Kraftfahrzeugingenieur Laurent Favre, Jahrgang 1971, übernahm Anfang 2020 den CEO-Posten bei dem französischen Zulieferer Plastic Omnium. Er ist der erste Vorstandschef in der Geschichte des 1946 gegründeten Unternehmens, der nicht zur Eigentümerfamilie Burelle gehört. Dass er druckreifes Deutsch spricht, ist der Tatsache zu verdanken, dass Favre zuvor für die deutschen Unternehmen ABB, Benteler, Thyssenkrupp und ZF arbeitete und unter anderem drei Jahre im Schwäbischen lebte.